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| von Lutz Richter

„Wurzeln der Gewalt“

Auszug aus dem Artikel „Wurzeln der Gewalt – Politische Betrachtungen zur Verhaftung von Daniela Klette“ vom 02.03.2024 in der Jungen Welt – verfasst von Karl-Heinz Dellwo. (1)

„War die RAF wirklich die gewalttätigste Gruppe, die aus der 68er Bewegung hervorgegangen ist? Ich habe erhebliche Zweifel daran. Personen wie Joseph Fischer, die in den 70er Jahren noch die Parole ›Werft die Knarren weg, nehmt Steine‹ ausgaben, haben, kaum waren sie in der Machtpositionen gelangt, ihre inhärente Gewaltbereitschaft staatlich ausgelebt, nicht zuletzt im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien. Wer heute dem grünen Munitionsexperten Anton Hofreiter oder Marieluise Beck und ihrem Ehemann, dem einst der ›Vernichtung des Kapitals‹ verpflichteten KBW-Funktionär Ralf Fücks, zuhört, steht entsetzt vor einer maßlosen Gewaltbereitschaft und Kriegshetze, die irgendwann niemand mehr im Griff haben wird – und die zu einer erneuten Zerstörung Europas führen kann.

(…)

Ich möchte auf einen weiteren fundamentalen Unterschied hinweisen: Die RAF hat sich gegen das imperiale System des Kapitalismus gestellt. Ein relevanter Teil der Nachkriegs- und Enkelgeneration tritt heute mit aller Gewalt für den Fortbestand genau dieses Kapitalismus ein. Von dessen ›wertebasierter Liberalität‹ glaubt sie sich moralisch legitimiert, konkurrierende Kapitalismen wegzufegen, weil die Konkurrenten nicht ›liberal‹, sondern ›autoritär‹ seien. Als wären sie nicht den gleichen Marktgesetzen unterworfen. Dabei liegt die ›Liberalität‹ des Westens unterm Strich nur im Zubilligen kostenloser Freiheiten, die so lange gültig sind, wie eine Prämisse immer unangetastet bleibt: die Unterwerfung unter das Prinzip der Verwertung von Mensch und Natur.«

Richtig, aber meine Deutschlehrerin hätte gesagt, das ist nur kritischer Realismus, er zeigt den Missstand auf, sagt aber nicht, wie wir Änderungen herbeiführen können.

Die Natur will Lösungen – die Überwindung der Gewalt

In einer Gesellschaft, die sich als humanistisch versteht, ist der Umgang mit Gewalt im Rahmen der Exekutive immer ein schwieriges Unterfangen. Die Gewaltanwendung gegen Terroristen, die Menschen zu Tode gebracht haben, lässt sich sicherlich leichter rechtfertigen als der zivile Ungehorsam eines auf der Straße sitzenden Studenten.

Ganz schlimm aber wird es, wenn Krieg ist wie jetzt.

Es scheint von vornherein derjenige humanistischer zu sein, der nicht mit der Gewalt angefangen hat. Es scheint vernünftig zu sein, sich zu wehren, indem man auch Gewalt anwendet.

Wieder steht die Welt vor der jesuanischen Entscheidung, das Gesetz von Auge um Auge, Zahn um Zahn zu verwerfen, um lieber die andere Wange hinzuhalten respektive sich kreuzigen zu lassen.

Die Ursachen für alle menschlichen Zwistigkeiten sind viel zu komplex, als dass man sie auf das märchenhafte »die Guten und die Bösen« reduzieren könnte. Es trennen die Kriegsparteien nicht die Produktionsweisen, nicht die Eigentumsverhältnisse und nicht die Gleichgültigkeit, mit den Gegnern Handel zu treiben.

Alle verlangen sie nach dem guten Leben, und darum gründet die Rechtfertigung dieser gesellschaftlichen Verhältnisse immer auf Werte, die unser Leben auf diesem Planeten nicht friedlicher, nicht gleichberechtigter und nicht psychisch nachhaltiger machen würden.

Es trennen die Mächte ein paar durchgedrehte Narzissten, reiche Egomanen und ignorante Dummschwätzer. Aber die bringt man doch nicht um, sondern lässt sie in ihrer Überheblichkeit à la Pilatus einfach in der Sonne stehen und verzichtet auf seine Fleischtöpfe und die Oberflächlichkeit seines Entertainments (althergebracht: Brot und Spiele).

Die Bewertung krimineller, terroristischer und kriegerischer Konflikte bedarf eines natürlichen Standpunktes, den nur der einnehmen kann, der dem Bösen nicht widerstrebt: »Ich begriff jetzt, daß Christus in dem Grundsatz des Nichtwiderstrebens nicht nur ausspricht, welche Konsequenz unmittelbar für den einzelnen daraus erwächst, dem Bösen nicht zu widerstreben, sondern daß er, im Gegensatz zu jenem Gesetze, welchem sich, nach Moses und dem römischen Rechte, das Volk zu seiner Zeit unterwarf, und nach welchem, auf Grund verschiedener Gesetzbücher, auch jetzt die Menschheit lebt, den Grundsatz des Nichtwiderstrebens aufstellt, – einen Grundsatz, der, nach seiner Lehre, die Grundlage des Zusammenlebens der Menschen sein und die Menschheit von dem Übel befreien soll, das sie sich selbst bereitet hat. Er sagt: Ihr glaubt, daß eure Gesetze das Übel verbessern; sie aber steigern es nur. Es gibt nur einen Weg, das Übel zu verhindern, – der ist: Böses mit Gutem zu vergelten, allen ohne Unterschied.« (2)

Lachen Sie nicht – schlafen Sie drüber. Lesen Sie Eugen Drewermann!

»Die Frage stellt sich von vornherein, was man will: will man die ›Welt‹, wie sie ist, kontinuierlich weiterverwalten, dann spielt die Pflege und Wahrung des Rechts ein zentrale Rolle; was aber, wenn gerade diese bestehende ›Welt‹ selbst mit ihren ›Einrichtungen‹ und ›Ordnungen‹ sich als das Unerträgliche, – als das Erlösungsbedürftige erweist? Was, wenn man im Interesse der Menschlichkeit die Diskontinuität, den Zerbruch des Vorgegebenen geradewegs wünschen muß?« (3)

Papst Franziskus hatte Anfang dieses Jahres die Chance, das Jesuanische am Christlichen zu retten. So wie Anthony Quinn in der Rolle des Papstes in dem amerikanischen Film »In den Schuhen des Fischers« aus dem Jahr 1968, der alles verkaufte, was der Vatikan so hergab, um die Armen und Hungrigen der Welt zu retten, inklusive Sowjets und Chinesen. 

Die weiße Fahne wäre des Fischers würdig gewesen.

Lutz Richter

Quellen:

(1) https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/470527.staat-und-raf-wurzeln-der-gewalt.html

(2) Leo N. Tolstoi: Mein Glaube. München 1990, S. 62–63.

(3) Eugen Drewermann: Jesus von Nazareth. Befreiung zum Frieden. Band 2. Glauben in Freiheit. Zürich/Düsseldorf. 4. Auflage 1998, S. 328.

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