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| von Lutz Richter

»Wir haben Gott getötet«

Alle Jahre wieder kommt ...

Quelle: Annacovic | stock.adobe.com

Mein Sohn A. (44) besuchte am 15.12.2024 die seit einiger Zeit in Hamburg stattfindende Ausstellung über den Street-Art-Künstler Banksy. Er schickte mir das Bild von »Christ with shopping bags« und titelte: »Weiß nicht, warum ich bei dem Bild an dich denken musste.«

Zu wissen, dass der Sohn weiß, was den Vater bewegt, ist ein Weihnachtsgeschenk der Extraklasse. Wohl wissend, dass ich nicht nur meinen Kindern mit meiner Gesellschaftskritik – wissend teilhaben – (1) schwere Gedanken bereite.

Es bedarf schon eines starken Entertainments globaler Dimension, um sich vom Grundsätzlichsten abzulenken. »Aber Papa, der Tag muss doch am Abend gelebt sein.«

Neben jenem Bild hat der Veranstalter der Ausstellung eine Erläuterung aufgehängt, der zu entnehmen ist: »Kapitalismus schreckt nicht einmal vor ›heiligsten‹ Räumen zurück.«

Genau da liegt das Grundproblem: Man kommt beim Betrachten des Bildes nicht umhin, etwas Grundsätzliches zu sagen, zu massiv und zu eindringlich ist die Warnung an uns: Ihr lebt falsch.

Aber was nützt diese plakative Momentaufnahme aus dem Jahr 2004? (2) Was haben denn all die »normalen« bildlichen Darstellung des Jesus am Kreuz in den letzten Jahrhunderten bewirkt?

Die Botschaft Nietzsches »Wir haben Gott getötet« erfährt durch das digitale Informationszeitalter Millionen Beweise, und wir schauen jeden Tag weg, in der Hoffnung, nicht daran erinnert zu werden, dass wir die Wahrheit bis zum Abend mehrmals verkauft haben.

Solange der Gesellschaftskritik in der Kunst gehuldigt wird und sie dort auch brüllen und beißen darf, aber ihre Informationen kaum eine Rolle im politischen und demokratischen Prozedere spielen, haben wir es eher mit einer Mediokratie oder Lobbykratie zu tun – Mittelmäßigkeit und Rendite als Schutz vor lebenswichtigen Veränderungen.

Und wollen Sie wissen, was diejenigen tun können, die dieses Bild von Banksy für Gotteslästerung halten? Die sollten endlich schnallen, dass dieser Jesu am Kreuz nicht für sie gestorben ist, sondern für die Wahrheit, die die Lobbyisten von Staat und Kirche in Gewalt und Ablenkung ersäuft haben.

Dieser Verzicht all derer, die so leichtfertig das Christliche in ihren Herrschaftsstrukturen implementiert haben, auf das Göttliche wäre die dringendste und notwendigste Entscheidung hier und jetzt.

Der dümmste Bauer dankt Gott für die Ernte, der eitelste Emir dankt Gott für das Öl und die Zukurzgekommenen wollen für ihren Gott andere Menschen töten. Diese Kakophonie muss ein Ende haben. Die Gebildeten unter den Rabbinern, Pfarrern, Priestern, Imamen, Muftis und Predigern sollen sich ihren Gott selbst predigen – still und stumm – in sich hinein, bis er ihnen zwischen Kopf und Lendenwirbel offenbart, dass dieser Budenzauber, den sie alle betreiben, nur einem dient: dem Privateigentum an Grund und Boden und an allem, was darauf ist, und an dessen Ausbeutung – auf Teufel komm raus.

Lutz Richter

Quellen

(1) Wissend teilhaben – Was für mich gut ist, kann für einen anderen schlecht sein. Es beginnt damit, zu sagen: Ich handle mit gutem Gewissen, oder – wie Sokrates formuliert haben soll: Denn jeder tut das, was er tut, weil er es für gut hält. Nun ist das »Wissen« über das Gute nicht automatisch relativ. Es bedarf der Überprüfung, was für Konsequenzen mein Handeln haben wird. Nach gutem Gewissen reicht nicht, es bedarf der Fachlichkeit. Der Idealfall wäre, das zu tun, was das aktuelle Wissen über die Ursachen (aus der Geschichte), die Bedingungen (in der Gesellschaft) und den Folgen (für die Zukunft) hergibt. Mit der natürlichen Möglichkeit zum Denken ist der Mensch an diese Gegebenheit gebunden. Damit ist er verpflichtet, die denkende Haltung des Vis-à-vis anzuerkennen. Die Teilhabe am Wissen ist kein Privileg, sondern ganz natürlich. (2009)

(2) Und was wissen wir schon, inwieweit selbst die Kritik zur Ware wird? https://www.myartbroker.com/artist-banksy/series-christ-with-shopping-bags

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