Thema:

| von Lutz Richter

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.

Wer bestimmt das Maß der Rüstungsausgaben, die Art der Waffen und wo wir sie einsetzen? Und nach wie vor die Frage: Verklärung des Krieges oder konsequenter Verzicht?

Es ist ein Phänomen, dass der demokratiegläubige Bürger hofft, dass ihn die Staatsmacht vor dem Fremden, den Feinden und manchmal auch vor den Andersgläubigen schützt. Die Bestimmung dieser Andersdenkenden wird immer schwieriger, die Frontlinien zwischen den am Krieg Beteiligten ähneln eher einer Isobarenkarte als einem Steckbrief. Und wenn dann noch jemand kommt, der weiß, was es zu verteidigen gilt, dann atmet der Bürger auf: »Pistorius macht ›den allergrößten Eindruck‹, er gilt in allen Rankinglisten aller ›demokratischen Blätter‹ als der gegenwärtig beliebteste deutsche Politiker. (…) Wenn Krieg ist, liebt man niemanden aus dem politischen Personal so sehr wie den Kriegsminister. Der kennt sich aus. Meint man.« (1) Nun ist das so eine Sache mit dem Sichauskennen. Die Gemengelage der Machtverhältnisse im Kontext der Geschichte bräuchte da schon etwas mehr als züchtige Reden mit Medienrummel, Blasmusik und Erbseneintopf aus der Gulaschkanone.

Neben der Frage der Glaubwürdigkeit, die gar nicht häufig genug gestellt werden kann, um nicht zu erhoffen, was gar nicht möglich ist, geht es um die Frage, wie viel militärischen Schutz wir unserer Staatsmacht abverlangen wollen, auch wenn wir vielleicht nie selbst bereit wären, diesen Dienst zu übernehmen – vielleicht um nicht darin umzukommen oder weil wir gar nicht überprüfen können, ob bei der Darstellung des Frontverlaufs alles wahrheitsgetreu zugeht und ob nichts an Information weggelassen wird. Es ist der Vorgesetzte, der in der Hierarchie der Armee bestimmt, was der Dienstgradniederere zu wissen und zu tun hat. Und der Niederere kann nur hoffen, dass sein Vorgesetzter umfassend informiert ist.

Irgendwann dient diese Befehlskette zur Entscheidungsfindung, wann der Verteidigungsfall eingetreten ist. Wehe dem, wenn dann diese Orientierungsstruktur, die sich aus humanen und digitalen Informationsformen zusammensetzt, hierzu außerstande ist.

»Die Fragen, wer die Entscheidung trifft, dass ›die zuständigen Bundesorgane außerstande sind, den Verteidigungsfall festzustellen, und wer damit die Feststellung ›als getroffen‹ geltend erklärt, wer den ›Zeitpunkt‹ feststellt, ›in dem der Angriff begonnen hat‹, bleiben unbeantwortet, weil sie ohne Selbstwiderspruch gar nicht beantwortet werden können. Aber irgendjemand (der vom Grundgesetz logischerweise nicht benannt werden kann) muss diese Entscheidung ja treffen. Jemand muss die Soldaten an die Front schicken, sonst findet die ›Verteidigung‹ nicht statt. (…) Wer über den Ausnahmezustand entscheidet, ist – so die berühmte Definition von Carl Schmitt – der Souverän. Auch wenn man seinen Namen nicht kennt. All die scheinbar beruhigenden Vorkehrungen in der Verfassung können also der Möglichkeit des Betrugs der Öffentlichkeit hinsichtlich eines Kriegszustandes offensichtlich nicht vorbeugen. Denn auch ein Parlament kann belogen werden. Bei der Verdinglichung von Menschen zu Tötungszwecken gibt es keinen Unterschied zwischen Demokratien und Diktaturen.« (2)

Die zeitlich unter Druck stehende Befehlskette der besten Demokratie unterscheidet sich im Ernstfall nicht von einem irren Präsidenten der Vereinigten Staaten, der den Atomkoffer in der Hand hält.

Vielleicht wird auch deshalb die Diskussion um die Wehrpflicht im Sande verlaufen, weil sich keiner diesen Ungewissheiten freiwillig unterwerfen will.

Einmal in diese Befehlskette integriert, ist es schwierig, zu diskutieren und aus der Feindbildbestimmung einen bunten Kaffeenachmittag zu machen.

Man vermeidet schon im Vorfeld die seelischen Qualen, die sich aus den subjektiven, von fremden Entscheidungsträgern vorgenommenen Bewertungen des politischen Gesamtzusammenhanges für einen selbst ergeben könnten.

Es bedarf aber gar nicht des Ernstfalls. Wir sind jeden Tag mittendrin in der militärischen Standortbestimmung. Wie viel militärisch zu tun müssen wir in Deutschland bereit sein, um wehrhaft zu sein? Wie viele Waffen an andere Länder zu liefern müssen wir bereit sein? Welche Waffengattungen sind notwendig und welche nicht? Oder soll es nur ein bisschen Kaserne mit Raketenabwehrsystemen sein?

Wenn man alles konsequent zu Ende denkt, dann läuft es auf richtig oder gar nicht hinaus: aufrüsten, bis der Arzt kommt, oder sich dem Feind um des Friedens willen ergeben. Beide Möglichkeiten sind 2000 Jahre alt. Sich Rom ergeben oder sich kreuzigen lassen. Die Diplomatie, der Mittelweg, ist in dieser Angelegenheit populistisch und funktioniert nur mit der Abschreckung durch die modernsten Waffenarsenale der Beteiligten.

Es muss uns klar sein, dass mit ein bisschen Waffen (z.B. keine Mittelstreckenraketen) oder schüchternen Waffenlieferungen an die Ukraine kein Frieden zu haben ist. Krieg endet, wenn der Feind am Boden liegt, die Waffen knapp werden, oder durch den Friedensschluss, wenn so mehr Einnahmen winken und mehr Profit zu generieren ist, als wenn der Krieg weiter fortgeführt wird. Wenn nichts mehr zu verdienen ist, werden die Verteidigungsminister, Reichswehrminister, Kriegsminister und auch Schauspieler vor die Kamera treten und erklären, dass sie aus humanistischen Gründen jetzt den Krieg beenden.

Verzichte ich aber ganz auf den Schutz, verliere ich alles außer vielleicht meinem Leben, aber wer will das?

Eine brillante Illustration dieses Konfliktes soll das Problem verdeutlichen:

In dem amerikanischen Film „Eine Frage der Ehre“ (Originaltitel: A Few Good Men) aus dem Jahr 1992 spielt Tom Cruise den  LTJG (Lieutenant Junior Grade) Daniel Kaffee.

Er ist der sympathische Anwalt (3), der die militärische Maschinerie der US Army in ihrer Bedeutung und Rolle für die Sicherheit in der Welt nicht grundsätzlich hinterfragt, aber die Organisation der Armee im Innern sauber sehen möchte, gerecht und anständig, ehrenhaft, tapfer und tugendhaft. (Man wäre blind, wenn man diesen Film nicht auch als Werbung sehen würde, sich rekrutieren zu lassen.)

Seinen Gegenspieler gibt Jack Nicholson als den Kommandeur der Bodentruppen des US-Stützpunkts Guantanamo Bay, COL Nathan R. Jessep. Er sorgt für die Disziplinierung der Rekruten, indem er in der Truppe ein System der Selbstdisziplinierung implementiert, den „Code Red“ (4).

DVD "Eine Frage der Ehre".
DVD "Eine Frage der Ehre".

Zum Inhalt:

Der Soldat William Santiago ist »ums Leben gekommen, nachdem er von seinen Kameraden Dawson und Downey tätlich angegriffen worden ist. Santiago hat als Außenseiter gegolten, während die beiden mutmaßlichen Täter Vorzeige-Marines sind. Zunächst ist unklar, ob es sich bei dem Angriff um eine Strafaktion (Code Red) handelte, die – obwohl offiziell verboten – von einem Vorgesetzten angeordnet wurde.

Die gegen die beiden vom Militärgericht erhobene Anklage lautet auf Mord, Verschwörung zum Mord sowie ›Verhalten unwürdig eines Marines‹. Dawson und Downey wird vorgeworfen, Santiago gezielt ermordet zu haben, um zu verhindern, dass dieser Informationen über ein früheres Fehlverhalten Dawsons an den NCIS weiterleitet. Die beiden Angeklagten hingegen stellen den Todesfall als unbeabsichtigte Folge einer von Vorgesetzten befohlenen Strafaktion dar und sehen sich somit zu Unrecht angeklagt.« (5)

Das Fehlverhalten, das nicht mehr zu verheimlichen ist, liegt eindeutig bei dem Kommandeur Jessep. Er muss sich als Zeuge vor einem Geschworenengericht rechtfertigen. Seine narzisstische und selbstgerechte Eigeninitiative, die Ehre der Truppe aufrechtzuerhalten, darf natürlich nicht zum Tod eines Soldaten führen – sicherlich gängige Praxis, nur passieren darf nichts. Das bietet dem jungen Anwalt die Möglichkeit, die kritischen Dispositionen des Regisseurs vorzutragen und das System vorzuführen.

Der Dialog im Gerichtssaal entlarvt den Kommandeur nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer des ganzen Systems. Und genau diesen zweite Aspekt bringt diese Filmstory in meinen heutigen Artikel ein.

Anwalt der Verteidigung: Daniel Kaffee:
»Haben Sie den Code Red befohlen? (…)«

Kommandeur Jessep:
»Sie wollen Antworten? (…) Sie wollen Antworten? (…) Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen. Junge, wir leben in einer Welt voller Mauern, und diese Mauern müssen von Männern mit Gewehren beschützt werden. Und wer soll das tun? Sie? (…) Ich trage eine größere Verantwortung, als es für Sie überhaupt vorstellbar ist. Sie weinen um Santiago. Und Sie verfluchen die Marines. Sie genießen den Luxus. Sie genießen den Luxus, nicht zu wissen, was ich weiß, dass Santiagos Tod zwar tragisch ist, aber wahrscheinlich Leben gerettet hat. Und dass meine Existenz, obwohl Sie Ihnen grotesk vorkommt und unverständlich ist, Leben rettet.
Sie wollen das nicht wahrhaben, denn tief in Ihrem Inneren – aber das sagen Sie nicht auf Partys – wollen Sie, dass ich an dieser Mauer stehe. Sie brauchen mich an dieser Mauer. Wir stehen zu Worten wie Ehre, Kodex, Loyalität. Für uns sind diese Worte die Plattform eines Lebens, das wir leben, um etwas zu verteidigen. Für Sie sind das nur Sprüche.

Ich habe weder die Zeit noch das Bedürfnis, mich hier zu verantworten, vor einem Mann, der unter die Decke jener Freiheit schlüpft, die ich den Menschen täglich gebe, und der dann die Art anzweifelt, wie ich das mache. Ich würde es vorziehen, wenn Sie nur ›Danke‹ sagen und dann weitergehen würden. Andernfalls schlage ich vor, dass Sie eine Waffe in die Hand nehmen und die Wache übernehmen. Auf jeden Fall ist es mir vollkommen egal, was Sie denken, wozu Sie ein Recht hätten.«

Kaffee:
»Haben Sie den Code Red befohlen?«

Jessep:
»Ich habe meine Pflicht getan.«

Kaffee:
»Haben Sie den Code Red befohlen?«

Jessep:
»Sie haben verdammt recht, so ist es. (…)«

Jessep wird abgeführt und brüllt:
»Ihr beschissenen Pfeifen. Ihr habt keine Ahnung, wie eine Nation zu verteidigen ist. Sie haben heute nichts anderes getan, als das Land zu schwächen, Kaffee. Mehr haben Sie nicht erreicht. Sie bringen nur Menschenleben in Gefahr. Träumen Sie schön, Junge.«

Kaffee:
»Nennen Sie mich nicht ›Junge‹, ich bin Rechtsanwalt und Offizier in der United States Navy, und Sie sind jetzt verhaftet, Sie altes Dreckschwein.« (6)

Die Genugtuung, dass dieses Dreckschwein Jessep (gigantische schauspielerische Leistung von Nicholson) nun seine Strafe bekommt, hält sich bei mir in Grenzen.

Schlüpfen wir nicht doch am Ende gerne unter die Decke, die uns da Pistorius für 100 Milliarden strickt?

Lutz Richter

Quellen

(1) Bernhard Schindlbeck: »Wer will unter die Soldaten?«. In: Ossietzky, Heft 21/2024 vom 19. Oktober, S. 641.

(2) Ebenda, S. 643.

(3) Der Schauspieler als Person ist mir nicht sympathisch, weil er ein hochrangiger Scientologe ist, aber seine schauspielerische Leistung schon.

(4) Zu vergleichen mit der Entlassungs-Kandidaten(EK)-Bewegung in der ehemaligen NVA der DDR. Von allen praktiziert, von allen geduldet, aber es durfte keiner dabei Schaden nehmen. In den anderthalb Jahren Grundwehrdienst gab es ein interne (nicht vorgeschriebene) personelle Einordnung nach Diensthalbjahren. Erstes Halbjahr: Der Spritzer; zweites: der Vize; und drittes: der Entlassungs-Kandidat. Die geheime Befehlskette sicherte den »höheren« Semestern den Gehorsam der niedereren, für allerlei Dummheiten, Schikanen und – sicher auch mal ab und an – einen Code Red.

(5) Aus dem Wikipedia-Artikel »Eine Frage der Ehre«; https://de.wikipedia.org/wiki/Eine_Frage_der_Ehre (aufgerufen am 27.10.2024).

(6) Zum Dialog siehe: https://www.youtube.com/watch?v=KJK19TWVaOc (aufgerufen am 11.11.2024).

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