Es ist ein Phänomen, dass der demokratiegläubige Bürger hofft, dass ihn die Staatsmacht vor dem Fremden, den Feinden und manchmal auch vor den Andersgläubigen schützt. Die Bestimmung dieser Andersdenkenden wird immer schwieriger, die Frontlinien zwischen den am Krieg Beteiligten ähneln eher einer Isobarenkarte als einem Steckbrief. Und wenn dann noch jemand kommt, der weiß, was es zu verteidigen gilt, dann atmet der Bürger auf: »Pistorius macht ›den allergrößten Eindruck‹, er gilt in allen Rankinglisten aller ›demokratischen Blätter‹ als der gegenwärtig beliebteste deutsche Politiker. (…) Wenn Krieg ist, liebt man niemanden aus dem politischen Personal so sehr wie den Kriegsminister. Der kennt sich aus. Meint man.« (1) Nun ist das so eine Sache mit dem Sichauskennen. Die Gemengelage der Machtverhältnisse im Kontext der Geschichte bräuchte da schon etwas mehr als züchtige Reden mit Medienrummel, Blasmusik und Erbseneintopf aus der Gulaschkanone.
Neben der Frage der Glaubwürdigkeit, die gar nicht häufig genug gestellt werden kann, um nicht zu erhoffen, was gar nicht möglich ist, geht es um die Frage, wie viel militärischen Schutz wir unserer Staatsmacht abverlangen wollen, auch wenn wir vielleicht nie selbst bereit wären, diesen Dienst zu übernehmen – vielleicht um nicht darin umzukommen oder weil wir gar nicht überprüfen können, ob bei der Darstellung des Frontverlaufs alles wahrheitsgetreu zugeht und ob nichts an Information weggelassen wird. Es ist der Vorgesetzte, der in der Hierarchie der Armee bestimmt, was der Dienstgradniederere zu wissen und zu tun hat. Und der Niederere kann nur hoffen, dass sein Vorgesetzter umfassend informiert ist.
Irgendwann dient diese Befehlskette zur Entscheidungsfindung, wann der Verteidigungsfall eingetreten ist. Wehe dem, wenn dann diese Orientierungsstruktur, die sich aus humanen und digitalen Informationsformen zusammensetzt, hierzu außerstande ist.
»Die Fragen, wer die Entscheidung trifft, dass ›die zuständigen Bundesorgane außerstande‹ sind, den Verteidigungsfall festzustellen, und wer damit die Feststellung ›als getroffen‹ geltend erklärt, wer den ›Zeitpunkt‹ feststellt, ›in dem der Angriff begonnen hat‹, bleiben unbeantwortet, weil sie ohne Selbstwiderspruch gar nicht beantwortet werden können. Aber irgendjemand (der vom Grundgesetz logischerweise nicht benannt werden kann) muss diese Entscheidung ja treffen. Jemand muss die Soldaten an die Front schicken, sonst findet die ›Verteidigung‹ nicht statt. (…) Wer über den Ausnahmezustand entscheidet, ist – so die berühmte Definition von Carl Schmitt – der Souverän. Auch wenn man seinen Namen nicht kennt. All die scheinbar beruhigenden Vorkehrungen in der Verfassung können also der Möglichkeit des Betrugs der Öffentlichkeit hinsichtlich eines Kriegszustandes offensichtlich nicht vorbeugen. Denn auch ein Parlament kann belogen werden. Bei der Verdinglichung von Menschen zu Tötungszwecken gibt es keinen Unterschied zwischen Demokratien und Diktaturen.« (2)
Die zeitlich unter Druck stehende Befehlskette der besten Demokratie unterscheidet sich im Ernstfall nicht von einem irren Präsidenten der Vereinigten Staaten, der den Atomkoffer in der Hand hält.
Vielleicht wird auch deshalb die Diskussion um die Wehrpflicht im Sande verlaufen, weil sich keiner diesen Ungewissheiten freiwillig unterwerfen will.
Einmal in diese Befehlskette integriert, ist es schwierig, zu diskutieren und aus der Feindbildbestimmung einen bunten Kaffeenachmittag zu machen.
Man vermeidet schon im Vorfeld die seelischen Qualen, die sich aus den subjektiven, von fremden Entscheidungsträgern vorgenommenen Bewertungen des politischen Gesamtzusammenhanges für einen selbst ergeben könnten.
Es bedarf aber gar nicht des Ernstfalls. Wir sind jeden Tag mittendrin in der militärischen Standortbestimmung. Wie viel militärisch zu tun müssen wir in Deutschland bereit sein, um wehrhaft zu sein? Wie viele Waffen an andere Länder zu liefern müssen wir bereit sein? Welche Waffengattungen sind notwendig und welche nicht? Oder soll es nur ein bisschen Kaserne mit Raketenabwehrsystemen sein?
Wenn man alles konsequent zu Ende denkt, dann läuft es auf richtig oder gar nicht hinaus: aufrüsten, bis der Arzt kommt, oder sich dem Feind um des Friedens willen ergeben. Beide Möglichkeiten sind 2000 Jahre alt. Sich Rom ergeben oder sich kreuzigen lassen. Die Diplomatie, der Mittelweg, ist in dieser Angelegenheit populistisch und funktioniert nur mit der Abschreckung durch die modernsten Waffenarsenale der Beteiligten.