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| von Lutz Richter

Es lebe die Freiheit, verdammt!

Die tödliche Verwaltung von Informationen und Finanzen durch die Tech-Konzerne und die Finanzoligarchie – Compliance war gestern (1)

Kampfhubschrauber über Reisfeld

›Apocalypse Now‹ ist ein Antikriegsfilm des Regisseurs Francis Ford Coppola aus dem Jahr 1979, dessen Handlung während des Vietnamkriegs spielt. Er basiert lose auf Joseph Conrads ›Herz der Finsternis‹ sowie auf Michael Herrs Vietnamkriegs-Reportagen ›An die Hölle verraten‹.

An diesen Film musste ich denken, als ich die ZDF-Reportage ›Trump und das Silicon Valley‹ (2) von Angela Andersen und Claus Kleber, einem Urgestein des seriösen Journalismus, und auf Arte ›Moneyland – Die dunklen Geschäfte der Finanzindustrie‹ (3) von Marc Wiese gesehen hatte.

Aber warum an Vietnam und nicht an die vielen anderen Krieg seitdem? Weil ich damals zwanzig Jahre alt war und zum ersten Mal sah, was Krieg bedeutet. Und seither haben die Kriege nicht aufgehört. Darum lasse ich mich heute für die Wahrhaftigkeit dieses Satzes gerne kreuzigen: Es gibt keine allgemeingültige Moral und auch keine allgemeine Vernunft. Das sind Illusionen, die man braucht, wenn man die Not nicht abwenden kann.

Es ist beängstigend und erschütternd, wie das Kapital nach dem Zweiten Weltkrieg einfach so weitermacht und sich die Welt unterwirft und dies mit der Freiheit des Menschen begründet, was auch immer das sein soll. Und es scheint gesetzmäßig zu sein, dass wir die Akteure sind.

    • Kleber leitet die ZDF-Reportage mit folgenden Worten ein: »Grundlegendes hat sich verändert. (…) Es ist ungewiss geworden, ob die amerikanische Demokratie überlebt, ob Wahlen noch etwas bewirken, ob die Herrschaft des Rechts weiter besteht. Stattdessen werden Pfeiler eingerammt für eine Zukunft unter Überwachung von allem und jedem. Rund um die Uhr im Namen von Sicherheit eine Ordnung für gefährliche Zeiten, die neue Waffen, Technik und Kriegskunst verlangen und Meisterschaft in künstlicher Intelligenz.« Noch sei es nicht zu spät, die Dinge ans Licht zu bringen und den Kurs zu ändern. Diese Hoffnung hegen die beiden Autoren noch.
    • Der Wirtschaftswissenschaftler Marc Chesney (4) betont in der Dokumentation ›Moneyland‹, es sei eine politische Entscheidung, welche Institution »Too big to fail« (»zu groß zum Scheitern«) ist. »Es ist schlimmer als im Casino. Wenn wir ins Casino gehen, sind wir für unsere Verluste verantwortlich«. Aber »Banken sind systemisch«, für deren Verluste kommt der Steuerzahler auf, so Marc Chesney in der Gesamtbewertung.

    »Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen«, spricht der Oberstleutnant Bill Kilgore (Robert Duvall) in ›Apokalypse Now‹. Mit Sicherheit ein möglicher Spruch in zwanzig Jahren Vietnamkrieg. Es fing an mit dem Appell der USA, die Unschuldigen zu beschützen, Leuchtfeuer für das Gute und das Gerechte zu sein. Zu Beginn des Vietnamkrieges hatte sich keiner vorstellen können, Gräueltaten an Vietnamesen zu begehen. Am Ende kamen unzählige bis zur Unendlichkeit verdunkelte Gestalten aus dem Krieg zurück und fragten sich, wie sie zu so etwas fähig gewesen waren.

    Auf der roten Kettensäge, mit der der Multimilliardär Elon Musk am 20.02.2025 auf der Bühne rumfuchtelte, kann man lesen: »Viva la libertad, carajo!«. (5)

    »Es lebe die Freiheit, verdammt!«

    Was heißt »verdammt«? Das heißt für die Milliardäre, dass dieser in die Jahre gekommene Überbau der Gesellschaft, der Staat, mit seinem Getue um soziale Gerechtigkeit, Rüstungskontrolle, Verbraucherschutz und Umweltschutz zum Hemmklotz für die Produktivkraftentwicklung geworden ist. Das angehäufte Kapital ist bereit, sich von den Fesseln dieser halbherzigen Demokratie zu befreien, um zum Mars zu fliegen, die Welt technisch zu verzaubern, wie einst die Dampfmaschine und später die Elektrifizierung zu Beginn des jungen Kapitalismus.

    Wir wollten privatkapitalistisch agieren und gleichzeitig sozial sein, Kohle machen und gleichzeitig das Töten billigend in Kauf nehmen. Das ist nicht neu, katholischer und protestantischer Glaube hatten dafür immer gute Rechtfertigungsgründe geliefert. Diese Inkonsequenz zur Entscheidung zwischen den beiden Reichen (6) hat das Töten nie enden lassen. »Gott ist tot, wir haben ihn getötet« war aber gestern. Heute befinden wir uns im freien Fall. Wo auf den Fallschirmen einst wenigstens noch »Hoffnung« draufstand, versprechen die neuen Labels auf den Schirmen der Big Tech, der Banken und Vermögensverwalter wie BlackRock und Allianz mit Sicherheit eine tödliche Landung.

    »Es lebe die Freiheit, verdammt!«

    Die Demokratie haben wir zerredet und mangels Wissenschaftlichkeit verpeilt, um uns nun in einer liberalen Oligarchie die Welt da draußen plausibel zu erklären. »Das Liberale an dieser Oligarchie ist die Obsession des Westens, Minderheiten zu schützen. Dabei denkt man meistens an Unterdrückte, schwarze Menschen oder Homosexuelle, doch die am besten geschützte Minderheit im Westen sind mit Sicherheit die Reichen, welche 1 Prozent, 0,1 Prozent oder 0,01 Prozent der Bevölkerung ausmachen.« (7)

    Die unverändert währenden Kriege um den Anspruch, die Freiheit des anderen zu bestimmen, sind der Beweis für die Illusion, man könne mit Vernunft die Produktivkräfte zähmen und sie für friedliche Zwecke nutzen.

    Eine weitere Illusion ist die der Diplomatie. Verhandlungen mit den Verächtern des Lebens, wie Assad, Bolsonaro, Milei, Netanjahu, Putin, Trump u.v.a., verschieben die Katastrophe nur auf später. Das Dilemma in dieser Beziehung bleibt das Gleiche: Reden und Süßholz raspeln auf der einen Seite und Waffensysteme, Halbleiter und seltene Erden auf der anderen Seite. Man dient zwei Herren.

    So gibt es nur einen Minimalprotest des Mainstreams anstatt der Umkehr: ›Ich wollte nicht mehr das Etablierte wählen, sondern einen Wechsel – selbst, wenn mir der Rainer Zufall als Person gar nicht zusagt …‹ – und dabei schielt man auf all den Budenzauber von Uncle Sam: ›Bleib bei uns, behüte und bewahre uns … ‹

    Tech-Investor Peter Thiel, Schattenpräsident der USA und Feind der Demokratie und PayPal-Gründer, meint, Demokratie sei mit Freiheit nicht vereinbar. Seine Idee: Eine Klasse von Unternehmern soll über die Massen herrschen.

    »Es lebe die Freiheit, verdammt!«

    Solange wir den Baum der Wissenschaften durch die Zauberlehrlinge der Tech-Industrie und der Banken pflegen lassen, deren Produkte konsumieren und ihnen den Hof machen, brauchen wir auch keine Antikriegsfilme und investigative Reportagen. Und politisches Kabarett wird zunehmend zur Beichte, über die ich nicht mehr lachen kann. Wut und Frust über meine Teilnahme an diesem Turbo-Kapitalismus erobern mich. Alles kann gesagt werden, aber keiner will sich ändern.

    Wer sich schuldig fühlt, wie Kevin Lomax (Keanu Reeves) in dem Film ›Im Auftrag des Teufels‹, der als junger Rechtsanwalt seinen schuldigen Mandanten herauspaukt, um seine gesellschaftliche Reputation als Anwalt und Salonbesucher nicht zu verlieren, dem möchte ich den Rat des Mephistopheles (Al Pacino) zuteilwerden lassen: »Schuld ist wie ein schwerer Sack voller Steine. Alles, was du tun musst, ist ihn abzusetzen.«

    Ich persönlich nehme noch gerne ein Flaschl Sekt dazu.

    »Es lebe die Freiheit, verdammt!«

    Lutz Richter

    Anmerkungen/Quellen:

    (1) Rechtstreue bzw. Regelkonformität im Bankwesen zum Schutz der Anleger.

    (2) Dokumentarfilm von Angela Andersen und Claus Kleber: ›Trump und das Silicon-Valley – Staatsstreich der Tech-Millardäre‹; zdf.de/ (aufgerufen am 4. Juni 2025).

    (3) Dokumentarfilm von Marc Wiese: ›Moneyland – Die dunklen Geschäfte der Finanzindustrie‹;  ardmediathek.de und bei Arte: arte.tv (aufgerufen am 4. Juni 2025).

    (4) Marc Chesney unterrichtete von 2003 bis 2024 als Professor für Finanzmathematik an der Universität Zürich.

    (5) Mit einem aussagekräftigen Bild siehe den Zeitungsartikel ›Elon Musk fuchtelt mit Kettensäge herum – und verteidigt Trumps Ukraine-Kurs‹ in der ›Kölnischen Rundschau‹ vom 21.02.2025; rundschau-online.de (aufgerufen am 5. Juni 2025).

    (6)) Luther unterscheidet das »Reich Gottes« vom »Reich der Welt«. Ein Christ lebt in beiden Reichen gleichzeitig. In das eine kommt er allein durch Gnade, Glauben und die Schrift, in dem anderen herrscht er gegebenenfalls auch mit dem Schwert.

    (7) Emmanuel Todd: ›Der Westen im Niedergang‹, 3. Auflage, Neu-Isenburg 2024, S.132.

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