Thema:

| von Lutz Richter

Ein Buchtipp als offener Brief an die Neue Generation XYZ

„Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“– von Thomas Mann

„Liebe Kinder der psychologischen Resilienz,

ich werde genau 633 Wörter dafür verwenden, um dieses Buch Eurem freiheitlichen Geist zu empfehlen. Thomas Mann war kritischer Realist. Er, der den konkreten Menschen in seiner speziellen Situation psychologisch durchdrang und dabei die Umstandsbestimmungen der Zeit, in der seine Protagonisten leben, beleuchtete, könnte auch für Euch von Interesse sein.

Drei Wünsche verbinden sich mit diesem Buchtipp:

1. (gratis: Selbstüberwindung)

Versucht, dieses Buch bald, zügig und mit aller Konsequenz von Anfang bis Ende zu lesen. Sucht keine Abkürzung im Netz und überspringt nichts. Wenn Euch das gelingt, verspreche ich Euch ein Gefühl der Genugtuung und der Dankbarkeit nach getaner Lektüre. Dieses Gefühl, etwas zu Ende gebracht zu haben, wäre ein natürliches Geschenk am Rande der erfreulichen Gelegenheit, nach und nach den Inhalt des Buches erschließen zu können.

2. (intern: Der große Zusammenhang)

Warum nun aber dieses Buch? Ihr seid die Kinder meiner Freunde und Eure holprige Vita bis hierher war und ist Gegenstand unserer gemeinsamen Sorgen um Euch. Wir haben Euch gleichermaßen vernachlässigt. Alexander, Konstantin, Johannes, Daniel und Elisabeth sind nicht automatisch Leidtragende der Erziehung, aber eben Kinder ihrer Eltern. Kinder von Müttern und Vätern, die versucht haben, im Schatten einer imperialen Wirtschaftswachstumsglorifizierung dem System ein Stück Wohlstand abzuringen. Nebenbei bemerkt, im Angesicht unseres nun schütteren Haares und unserer faltenreichen Gesichter ein völlig blödsinniges Unterfangen.

Thomas Mann bildet solche Abhängigkeiten ab, indem er Felix’ Abhängigkeiten von Vater und Mutter und sonstigen Verantwortlichen zeigt. Die eigenen Abhängigkeiten und die Quellen des eigenen Tuns zu kennen und diese zu verstehen, wäre mein zweiter Wunsch, der aber auch erst in Erfüllung geht, wenn Ihr die Wechselwirkung von Inhalt, Sprache und Form bei Thomas Mann verstanden habt.

3. (extern: Die Profession)

Wo Ihr euren Platz im Leben findet, ist mir im Grunde gleich. Solltet Ihr Euch aber für ein Leben nach der Art von Felix’ Dasein entscheiden, dann kommt Ihr nicht umhin, die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu studieren und zu verstehen, damit Ihr Euch darin erfolgversprechend bewegen könnt.

Hochstapler, Heiratsschwindler und Politiker sind elegant, riechen gut und sehen gepflegt aus – ausgenommen Herr Hofreiter. Sie fallen durch ihre noblen Umgangsformen auf, damit sie gegrüßt werden. Ihre Autos sind verkehrssicher. Die persönlichen Sachen, der Besitz, ihr ganzes Zeug wirkt grundsolide. Es hat sich nichts geändert an Gottfried Kellers Kleider machen Leute oder an den festen Grundsätzen eines Narzissten: »Mehr Schein als Sein«.

Um an das Geld anderer Leute zu heranzukommen, bedarf es neben der gepflegten Schlitzohrigkeit einer gewissen Fachlichkeit in Sachen leben und leben lassen. Dass Ihr kein Geheimnis daraus macht, Millionär sein zu wollen, macht Euch durchaus nicht unsympathisch. Es wäre verlogen, hier den moralischen Zeigefinger zu heben. Dazu sind wir hier täglich alle viel zu sehr mit dem schnöden Mammon unterwegs.

Gesetzt den Fall, Ihr lest dieses Buch nicht und Ihr versteht deshalb nicht, warum Ihr so seid, wie Ihr seid, dann solltet Ihr mit einer Ausbildung zum Mafioso anfangen. Das ist eine große Familie, die sich rührend um Euch kümmert, die Euch tragen, fördern, aber auch die Finger abschneiden kann, wenn Ihr dummes Zeug redet – eine erzieherische Maßnahme, die das Wort »schutzbefohlen« völlig neu definiert.

Dann solltet Ihr Euch aber auch von uns Idioten des frühen Aufstehens, von den nicht in den Ruhestand gehenden Trotteln, den Häuslebauern und den ewig malochenden Tischlern, Ärzten, Krankenschwestern und Köchen trennen. Ihr müsst dann Euer Ränzlein schnüren und in die weite Welt ziehen, ohne uns zu sagen, wohin Ihr geht.

Dreht Euch nicht nach Mutter und Vater um. Ruft uns um Himmels willen nicht an. Überrascht uns damit, von Euch aus den sozialen Medien zu hören als:

  • ein Keanu Reeves aus dem Film „Anwalt des Teufels“,
  • ein Leonardo DiCaprio, als Scheckbetrüger aus dem Film „Catch Me If You Can“, oder
  • – und das wäre natürlich absolut geil – als Politikerin oder Politiker (Partei ist egal) von der Art eines Donald Trump.

Wir haben Euch lieb, möchten Euch aber bitten, dass Ihr Euch schnell entscheidet, wir müssen zur Arbeit.“

Lutz Richter

Zurück zur Newsübersicht